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Bargeld und EC-Karte verschwinden im Jahr 2018

Wirtschafts- und Finanzredakteur
Beim Bäcker, im Taxi oder im Supermarkt: Immer seltener wird in Deutschland mit Bargeld bezahlt. Handelsfirmen prophezeien, dass im Jahr 2018 EC- und Kreditkarten durch das Smartphone ersetzt werden.

Normalerweise zieht die Kassiererin ein paar Tausend Artikel pro Tag über den Scanner. In dem Rewe-Supermarkt nahe Frankfurt sind die Abläufe zur bis ins Kleinste durchdachten Routine geworden. Alles läuft wie am Schnürchen.

Bis zu jenem Tag Ende Januar, als zum ersten Mal ein ganz neues Symbol auf dem Bildschirm des kleinen, grauen Terminals erscheint, in das normalerweise EC-Karten hineingesteckt werden. Ein kleines, pixeliges Quadrat – ein QR-Code.

Die Kassiererin zieht die Achseln hoch, entschuldigt sich: Sie habe das noch nie gemacht, sei selbst ganz gespannt. Sogar die Kollegin von der Nachbarkasse eilt hinzu und will sich das Hightech-Erlebnis nicht entgehen lassen. Zum ersten Mal ist es nicht nötig, die Kasse zu öffnen oder den Bon unterschreiben zu lassen.

Die beiden Kassiererinnen müssen nur zuschauen: Ein Programm auf dem Smartphone des Kunden kann den Pixel-Code per Kamera lesen und entschlüsseln, der Betrag erscheint noch einmal auf dem Bildschirm des Mobilfunkgerätes, kurz bestätigen, fertig. Willkommen beim Geldverkehr der Zukunft!

In vier Jahren ohne Bargeld in der Großstadt

Yapital, so der Name des Systems, das Rewe in bundesweit 1700 Filialen anbietet, ist nur einer von vielen Versuchen, den Deutschen das Bargeld abzugewöhnen. Man wolle eine weitere zeitgemäße Möglichkeit des Bezahlens bieten, heißt es bei der Supermarktkette. Wie viele Kunden das Angebot nutzen, verrät der Konzern nicht.

Es ist ja auch ein herausforderndes Unterfangen: Denn anders als in Asien oder Skandinavien ist hierzulande die Liebe zu Scheinen und Münzen besonders ausgeprägt. Immer noch begleichen Kunden gut 55 Prozent ihrer Einkäufe bar. 103 Euro hat jeder laut Bundesbank-Statistik in seinem Portemonnaie, davon im Durchschnitt 5,90 Euro in Münzen.

„Mobile Payment“, das mobile Bezahlen von unterwegs aus – ohne Scheine, Münzen und am besten auch ohne Plastikkarten – soll den Umgang mit Geld revolutionieren. Paypal-Chef David Marcus wagte eine Prognose: Westliche Großstädter würden ihren Alltag schon in vier Jahren ohne Bargeld und Bankkarten meistern können.

Die Ebay-Tochter zählt zu den wichtigsten Treibern der Veränderung. Sie will ihre starke Stellung im Internet nutzen und möglichst schnell auch an der Ladenkasse zu den bevorzugten Bezahlpartnern gehören. Dabei kann sie in Deutschland auf zwölf Millionen Menschen verweisen, die Paypal bereits nutzen und ihre Bankdaten hinterlegt haben.

Brötchen kaufen mit dem Smartphone

Internetunternehmen, Banken, Kreditkartenunternehmen und Telefonkonzerne – sie alle sind in den Kampf um das Portemonnaie des Kunden eingestiegen. Sie alle wollen aus der herkömmlichen Brieftasche aus Leder eine digitale machen, ein „Wallet“, wie das neudeutsch heißt.

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Mittlerweile gibt es bereits mehr als 20 Angebote am deutschen Markt. Das sind regionale Lösungen, wie beispielsweise in Willich am Niederrhein. Dort können Einkäufer in mehr als 60 Geschäften mit dem Smartphone zahlen – vom Optiker über den Bäcker bis zum Schuhgeschäft. Kesh heißt das dafür notwendige Angebot der BIW Bank.

Zum Teil ist der Einsatz des Smartphones auch von Marken und Branchen abhängig. Was für Rewe Yapital ist, heißt bei den Konkurrenten Edeka und Netto Valuephone. Viele Taxi-Rechnungen kann in Zukunft bargeldlos begleichen, wer die App von Paij auf seinem Mobilfunkgerät hat.

Nicht zu vergessen sind die großen Kreditkartenunternehmen Visa und Mastercard, die allein und mit Partnern das Thema in ihrem Sinn voranbringen wollen. Vodafone beispielsweise rollt seine Wallet-Lösung gerade nach und nach in deutschen Großstädten aus.

Bald mehr als 200.000 Anlaufstellen

Ob bei Starbucks, im Kaufhof, bei Aral oder Douglas, wer ein Mobilfunkgerät mit der passenden SIM-Karte hat, kann dort kontaktlos einkaufen. Kaum hält der Kunde das Smartphone an das Kassenterminal, wird das Geld von der vorher aufgeladenen Visa-Kreditkarte abgebucht.

Der Austausch erfolgt per Funkchip, per sogenannter Near Field Communication (NFC). Bis zu einem Betrag von 25 Euro reicht es, das Gerät rund vier Zentimeter an das Kassenterminal zu halten. Für Beträge darüber wird zusätzlich verlangt, dass der Kunde eine PIN eingibt.

35.000 Terminals in Deutschland sind bereits auf die Funktechnik umgestellt. Bis Jahresende sollen es mehr als 200.000 sein. Auch deshalb gewinnt das Thema Mobile Payment in diesen Wochen an Fahrt.

Der Vorteil gegenüber dem QR-Code, wie ihn beispielsweise Yapital, Kesh und Paypal zur Datenübertragung zwischen Kunde und Händler nutzen, liegt darin, dass die Technik auch ohne Internetverbindung funktioniert, sogar der Akku des Smartphones kann leer sein. Der Nachteil: Längst nicht jedes Smartphone ist NFC-fähig.

Drei Sekunden bringen Kunden wenig

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Doch es sind weniger technische Unzulänglichkeiten, die den Kampf gegen das beliebte Bargeld und die Karten so schwierig machen, sondern die Kunden. „Damit das Thema verfängt, muss ein erkennbarer Zusatznutzen dabei sein“, sagt Horst Rüter, Zahlungsexperte beim Einzelhandelsforschungsinstitut EHI.

Wer mit dem Smartphone einkauft, müsse einen Vorteil erkennen. „Diesen Vorteil halte ich bislang für sehr überschaubar“, sagt er. Rüter führt die bereits weitverbreitete kontaktlose EC-Karte als Beispiel an. Gerade die Sparkassen haben dieses Thema unter dem Stichwort Girogo in den vergangenen Jahren forciert.

Viel einfacher soll das Ganze sein, lange Schlangen sollen vor Kassen verschwinden. „Ja, das geht ein wenig schneller, aber sind drei oder vier Sekunden für den Kunden wirklich ausschlaggebend?“, fragt Rüter.

Ob er die Karte in das Terminal schiebt oder darüber hält, sei für ihn kein entscheidender Unterschied. Zumal die etablierten Bezahlsysteme, gerade auch die herkömmliche EC-Karte, in Deutschland seit vielen Jahren sehr gut funktionieren.

Bezahlen allein reicht nicht

Auch ein anderes Argument der Verfechter der Smartphone-Lösung mag bei vielen Kunden nicht verfangen: „Der erste Griff beim Verlassen der Wohnung gilt dem Schlüssel, der zweite sucht das Handy – nicht mehr das Portemonnaie, wie noch vor ein paar Jahren“, heißt es in einer Vodafone-Werbebroschüre. Da sei es doch gut, wenn man mit dem Smartphone auch bezahlen könne. Dieser Gedanke dürfte bislang noch nicht vielen Menschen gekommen sein.

Ansätze, um einen tatsächlichen Mehrwert dank des Smartphones zu schaffen, gibt es seit Jahren: Das können Gutscheine sein, die automatisch verrechnet werden, das kann das Parkticket sein, das vom Händler längst bezahlt ist, wenn der Kunde das Parkhaus wieder verlassen will, oder Rabattaktionen. Umgesetzt werden sie bislang selten.

Ein Bezahlsystem, mit dem man tatsächlich nur bezahlen kann, wird sich nicht durchsetzen, darin sind sich Experten einig. Irgendwann soll das Bezahlen sogar zur Nebensache werden.

An Fantasie, wie dies aussehen könnte, mangelt es nicht: Kunden kommen in den Laden, werden per Smartphone zu ihren Lieblingsprodukten geleitet, auf die jüngsten Sparaktionen aufmerksam gemacht, nehmen sich, was sie wollen, und gehen wieder raus – ohne an einer Kasse angestanden zu haben. Der Betrag wird bei Verlassen des Geschäfts automatisch vom Konto abgebucht – sofern der Kunde damit einverstanden ist. Technisch ist dies bereits möglich.

Auf der Jagd nach Kundenprofilen

„Beacon“ ist das Wort, das in diesem Zusammenhang seit Monaten in Internetforen rauf und runter diskutiert wird. Abgeleitet vom englischen Wort „Leuchtfeuer“ schicken Sender in einem Laden kontinuierlich Signale, die von einem Smartphone in der Nähe empfangen werden können.

„Mithilfe dieser Bluetooth-Sender in den Läden können sie dem Kunden direkt Angebote auf sein Smartphone schicken und sehen, wie er sich im Laden bewegt“, sagt Key Pousttchi, Leiter der Forschungsgruppe wi-mobile der Universität Augsburg.

Er ist davon überzeugt, dass sich diese Technologie, die Apple in seinen Stores bereits jetzt einsetzt und auf die auch Paypal setzt, in den nächsten Jahren ausbreiten wird. Sie sei zwar schlechter als die Funkchips, aber bequemer ließen sich umfassende Kundeninformationen kaum sammeln.

Und genau darum geht es den Internetgiganten bei ihrem Vorstoß an die Ladenkasse. Sie wollen noch bessere, noch genauere Profile ihrer Kunden haben, die sich dann noch besser verkaufen lassen.

Alle warten auf Apple

Der Antrieb ist groß, weshalb Pousttchi in den kommenden Jahren auch nur den AGFEAs, wie er sie nennt, zutraut, das mobile Bezahlen tatsächlich zu etablieren. Die Buchstaben stehen für Apple, Google, Facebook, Ebay (mit Paypal) und Amazon.

„Allen anderen, ob Telefonkonzernen oder Kreditkartenunternehmen, fehlen Innovationskraft und Marktmacht, dies allein aufzuziehen“, sagt Pousttchi. Zudem hätten Millionen Nutzer bei Apple, Google oder Paypal ohnehin längst ihre Kontodaten hinterlegt.

„Diese erprobten Bezahlmodelle für den Kauf im Internet auf die reale Welt auszubreiten wäre für die AGFEAs der entscheidende Sprung. Dann wüssten sie quasi alles über jeden einzelnen Nutzer.“

Seit Wochen schon halten sich Gerüchte, dass Apple noch in diesem Jahr mit dem mobilen Bezahlen starten werde. Vor allem ein von dem Konzern angemeldetes Patent gab den Gerüchten zuletzt neue Nahrung. Es beschreibt eine Methode, um Zahlungsinformationen über verschiedene drahtlose Übertragungswege zu senden.

Falsche Venen verraten den Betrüger

Vielen Kunden in Deutschland wird bei solchen Aussichten mulmig werden. Bargeld mag umständlich und unhygienisch sein, sowie Schlangen an den Kassen verursachen, aber als Kunde bleibt man anonym.

Bundesbank-Vorstand Carl-Ludwig Thiele gab sich erst jüngst als großer Anhänger von Scheinen und Münzen zu erkennen: „Gerade bei kleineren Beträgen finde ich Bargeld einfach praktischer und habe immer den Überblick, wie viel Geld noch im Portemonnaie ist“, sagte er. Zudem gebe es nicht bei jedem Einkauf einen Buchungsvorgang auf seinem Konto.

Auch QR-Codes und Funkchips gelten bislang als sichere Bezahlverfahren. Fachleute verweisen darauf, dass bei QR-Codes auf den Telefonen keine sensiblen Daten gespeichert werden. Bei NFC-fähigen Smartphones kann die Bezahlfunktion zudem in die SIM-Karte eingebaut und so besser vor Angriffen geschützt werden.

Auch mit neuen Verfahren zur Authentifizierung reagiert die Branche auf das hohe Sicherheitsbedürfnis. So gibt es Scanner, die anhand des Venenbildes einer Hand erkennen, ob Kunde und Konto zusammenpassen.

Banken haben einen Vertrauensbonus

Die Scheu vieler Verbraucher könnte die Chance für eine Gruppe sein, die von den neuen Spielern im Zahlungsgeschäft gerne zur Seite gedrängt würde: die Banken.

„Sie haben – der Finanzkrise zum Trotz – einen Vertrauensbonus. Das ist ihr Asset, auf dessen Basis sie in diesem Kampf bestehen können, wenn sie technologisch auf der Höhe sind“, sagt Trendforscher Peter Wippermann. Noch fehlen Banken die Ideen, welchen Mehrwert sie Kunden bieten könnten.

Handelsexperte Rüter geht denn auch trotz der großen Zahl an neuen Bezahlanbietern von einer unverändert langsamen Abkehr der Deutschen vom Bargeld aus. „Im Jahr 2020 wird der Bargeldanteil unter 50 Prozent liegen, aber nicht weit darunter.“

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