Warum es für den ITler des Putsch-Prinzen brenzlig werden könnte

Zweifel im Reichsbürger-Prozess
Wolfram S. wird sich am kommenden Prozesstag weiteren Fragen stellen - sowohl vom Gericht als auch von der Generalbundesanwaltschaft und der Verteidigung.
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Wolfram S. ist der erste Angeklagte im Prozess gegen das mutmaßliche Terrornetzwerk um Prinz Reuß, der zu den Putsch-Vorwürfen Stellung bezieht. Zu Beginn seiner Aussage stellt er sich als naiven und nichtsahnenden Mitläufer dar. Schon jetzt zweifelt das Gericht - dabei steht die heiße Phase noch bevor.

Gerade einmal zwei Prozesstage sind im Verfahren gegen den militärischen Arm des "Reichsbürgernetzwerks" um Heinrich XIII. Prinz Reuß vergangen, da steht die erste heiße Phase bereits bevor. Ursprünglich wollte sich das Oberlandesgericht Stuttgart an diesem Mittwoch weiter mit dem Angeklagten Wolfram S. beschäftigen. Der 55-jährige Ingenieur hat am vergangenen Montag damit begonnen, zu den Vorwürfen gegen ihn und die Reuß-Gruppe Stellung zu beziehen. Während es im ersten Teil seiner Einlassung vor allem um den Lebenslauf des ITlers ging, stehen im zweiten Teil vor allem seine mutmaßlichen Beiträge zu den Putsch-Plänen der Gruppierung im Fokus. Da ein Senatsmitglied erkrankt ist, fällt der angesetzt Termin jedoch aus. Fortgesetzt wird der Prozess nun am kommenden Montag.

Insgesamt müssen sich 26 Männer und Frauen rund um das Netzwerk des Immobilienunternehmers Heinrich XIII. Prinz Reuß vor Gericht verantworten. Sie sollen einen gewaltsamen Umsturz Deutschlands und die Errichtung eines autoritären Regimes geplant haben. Dabei haben sie, so die Generalbundesanwaltschaft, auch Tote und Verletzte in Kauf genommen. Der Chefankläger Deutschlands wirft ihnen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Hochverrat vor. Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu zehn Jahre Haft. Die meisten der Angeklagten wurden im Rahmen einer großangelegten Anti-Terror-Razzia im Dezember 2022 festgenommen. Seitdem sitzen sie in Untersuchungshaft.

Die juristische Aufarbeitung des "Reichsbürgernetzwerks" um Reuß ist eines der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik. Aufgeteilt wird das Verfahren auf drei Prozesse an drei Gerichten. Den Auftakt machte vergangene Woche das Oberlandesgericht Stuttgart, hier sitzen die Mitglieder des militärischen Arms der Gruppe auf der Anklagebank.

Digitaler Kopf der Gruppe

Neben Wolfram S. sind das noch acht weitere Männer zwischen 42 und 60 Jahren. S. ist bisher der erste von ihnen, der sich zu den Vorwürfen der Anklage einlässt. Seine Verteidigung hatte zum Prozessauftakt überraschend angekündigt, dass der 55-Jährige sowohl zur Person als auch zur Sache aussagen wird. Im ersten Teil seiner Einlassung am zweiten Prozesstag distanzierte sich der Ingenieur deutlich von den Plänen und Verschwörungstheorien des "Reichsbürgernetzwerks" um Reuß.

Die Anklage geht davon aus, dass S. der digitale Kopf, der IT-Experte, der Gruppe war. Er soll die digitale Infrastruktur des Netzwerks geplant und aufgebaut haben. Konkret geht es um zwölf Laptops für hochrangige Gruppenmitglieder, die er laut Anklage besorgt und aufgesetzt haben soll. Zudem habe er eine Datenbank eingerichtet, die unabhängig von den großen IT-Unternehmen arbeitet. Die Anklage geht davon aus, dass S. gewusst hat, für was genau die Datenbank genutzt wurde. Demnach wollte die Gruppe mit Waffengewalt in den Reichstag eindringen, Abgeordnete festnehmen und anschließend eine Übergangsregierung mit Prinz Reuß an der Spitze einsetzen.

Dem militärischen Arm sei vor allem die Aufgabe zugekommen, die Umsturzpläne mit Waffengewalt abzusichern. Dafür seien sogenannte Heimatschutzkompanien aufgebaut worden, bewaffnete Organisationen, die flächendeckend die Kontrolle der Ordnungsbehörden übernehmen und auch für "Säuberungen" - also Tötungen - zuständig gewesen sein sollten.

Das Gericht zweifelt

S. selbst will von diesen Plänen nichts gewusst haben. Ihm sei es lediglich um das Vernetzen von Menschen und Katastrophenschutz gegangen. In seiner Aussage zeichnete er von sich selbst das Bild eines Mannes, der mit Militär und Waffen nichts zu tun haben wolle. Die Reuß-Gruppe habe er durch einen Kontakt in der Prepper-Szene kennengelernt. Man sei damals auf ihn zugekommen, weil mehrere Leute einen IT-Experten suchten, um "Heimatschutzkräfte" aufzubauen. Ihm sei es lediglich um Katastrophenschutz gegangen, da er sich selbst - wie er zuvor darlegte - vor einem Systemzusammenbruch fürchtete.

Dokumente, die auf Umsturzpläne schließen lassen, wurden zwar auf seinem Laptop gefunden, der ITler will sie allerdings nur technisch, nicht inhaltlich bewertet haben. Auch mit den wesentlichen Verschwörungstheorien der Reuß-Gruppe, einem angeblichen "Tag X" und einer nicht existierenden politischen Allianz, will er nichts zu tun gehabt haben. Demnach habe er zwar davon gehört, die Narrative aber nicht weiter hinterfragt.

Das Gericht ließ bereits durchblicken, dass es an der Version des ITlers zweifelt. Mehrfach stellte der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen dem Angeklagten kritische Nachfragen, etwa ob er sich als "hochintelligenter Mann", der grundsätzlich "immens nachdenkt", keine Gedanken um den Inhalt jener Dokumente auf seinem Laptop gemacht habe, die auf Umsturzpläne und den Gebrauch von Waffen hindeuten. Die Argumentation des Angeklagten bereite ihm, so Holzhausen, "ein Problem". Auf den Einwand des Angeklagten, er habe Dokumente lediglich durch die Technik-Brille betrachtet, ohne den Inhalt zu werten, entgegnete Holzhausen außerdem: "Macht man es sich nicht ein bisschen einfach?"

"Glauben Sie, dass wir kein souveräner Staat sind?"

Die Einlassung von S. konnte am Montag nicht abgeschlossen werden. Am kommenden Prozesstag wird es mit der Befragung vonseiten des Gerichts weitergehen, anschließend haben Generalbundesanwaltschaft und Verteidigung die Möglichkeit für Fragen. Daran dürfte auch die ungeplante Pause nichts ändern. Zwar hätte S. die Möglichkeit, etwa die Befragung durch die Anklage zu verneinen, allerdings setzt der Angeklagte weiterhin auf die größtmögliche Kooperation mit der Justiz. Am vergangenen Montag kündigte er an, die Fragen aller Parteien beantworten zu wollen. Damit ist bereits jetzt klar, dass die Befragung des ITlers noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird.

Denn während es im ersten Teil der Einlassung größtenteils um den persönlichen Hintergrund des S. - seine Kindheit, Schulzeit und sein Berufsleben - ging, steht nun die heiße Phase der Befragung bevor. Gerade hinsichtlich der Vorwürfe - Terror und Hochverrat - dürfte das Staatsverständnis des S. dabei eine wichtige Rolle spielen. Reichsbürger glauben, dass Deutschland kein souveräner Staat ist, sondern weiterhin von den Alliierten besetzt sei. Die Anklage geht davon aus, dass auch die Mitglieder der Reuß-Gruppe Anhänger dieser Verschwörungstheorie sind. Demnach sollte Prinz Reuß nach dem Putsch einen neuen Friedensvertrag mit den Alliierten aushandeln. Fraglich ist, inwiefern S. dem folgte. Sollte das Gericht zu der Überzeugung kommen, dass S. Anhänger dieser Verschwörungstheorie ist, läge zumindest das Motiv für die Unterstützung eines Staatsstreichs nahe.

Eine Tendenz zeichnete sich bereits am vergangenen Montag ab: Im ersten Teil seiner Vernehmung behauptete der ITler zwar, nicht allen Narrativen der Gruppe zu folgen, einigen gar skeptisch gegenübergestanden zu haben. Bei der Verschwörung, Deutschland sei weiterhin besetzt, distanziert sich der Angeklagte jedoch nicht ganz so eindeutig von der Gruppe. "Glauben Sie, dass wir kein souveräner Staat sind?", wurde der Angeklagte gefragt. Der brauchte anschließend einen Moment, bevor er - ungewohnt einsilbig - mit "mäßig" antwortete.

Der angebliche Ausstiegswille

Höchstwahrscheinlich werden dem Angeklagten im Laufe seiner Einlassung weitere Dokumente über vorbereitete eigene Militärstrukturen der Gruppierung, Waffengewalt und Umsturzpläne vorgehalten. Spannend wird dann vor allem, inwiefern sie ein inhaltliches Eingreifen des ITlers indizieren - oder eben nicht. Dass S. selbst einräumt, inhaltlich an den Umsturzplänen beteiligt gewesen zu sein, scheint nach dem ersten Teil seiner Einlassung unwahrscheinlich.

Damit steht die Frage nach der Glaubwürdigkeit des ITlers im Fokus. Am Ende des Prozesses wird das Gericht abwägen müssen: Wie wahrscheinlich ist es, dass S. trotz digitaler Unterlagen der Reuß-Gruppe auf seinem Rechner - darunter Formulare der Heimatschutzkompanien, Muster für Wehrpässe und "Bekleidungsstammkarten" für die eigenen Soldaten - keine Verbindung zu möglichen Putschplänen und Waffengewalt zog?

Allerdings dürfte auch der angebliche Wille des Angeklagten, sich aus der Gruppe zurückzuziehen, eine Rolle spielen. Der ITler betonte in seiner Aussage, er hätte seine Tätigkeiten bereits "auf ein Minimum zurückgefahren". Tatsächlich deuteten vom Richter verlesene Chatprotokolle des S. an, dass dieser plante, die Gruppe zu verlassen. Erste Schritte seien bereits unternommen worden: S. will ein Mitglied der Gruppe darum gebeten haben, die von ihm unterschriebene Verschwiegenheitserklärung zu vernichten. Jene Erklärung war laut Anklage von jedem Mitglied zu unterzeichnen, Verstöße wurden demnach als Hochverrat gewertet und standen unter Androhung der Todesstrafe.

Ein möglicher Ausstiegswille könnte S. vor Gericht zugutekommen - vorausgesetzt, die Kammer erkennt diesen als solchen an. Denn auch das kann belegt werden: Trotz Ausstiegswille bastelte S. weiterhin an der Soft- und Hardware für die Gruppe - sowohl vor dem "Tag X" - an dem in der Vorstellung der Gruppe die gesellschaftliche Ordnung zusammenbrechen und eine neue Führung übernehmen sollte - als auch danach.

Die Bedeutung der Einlassung

Nach dem ersten Teil der Einlassung gibt es viele offene Fragen, etliche - angebliche - Erinnerungslücken und einige Ungereimtheiten. Das Gericht wird keine Mühen scheuen, so viele wie möglich von ihnen zu beantworten und auszumerzen. Am Prozessende müssen die Richterinnen und Richter über die Schuld der neun Angeklagten bestimmen. Neben den objektiven Indizien und Beweisen spielen dabei auch mögliche Motive, Hintergründe und Denkweisen der Angeklagten eine wichtige Rolle.

Die Bedeutung der Einlassungen der Angeklagten ist für das Gericht daher immens, was nicht zuletzt eine spontane Änderung des Prozessplans zeigt. So sollte es zum Verfahrensbeginn ursprünglich um Markus L. gehen. Ihm wird zusätzlich versuchter Mord vorgeworfen. Er soll sich bei seiner Festnahme in seiner Wohnung in Reutlingen verschanzt und mit einem halbautomatischen Schnellfeuergewehr auf Polizisten geschossen haben. Als S. zu Prozessbeginn seine Einlassung ankündigte, zog der Senat diese vor. Neben S. will ein weiterer Angeklagter sowohl zur Person als auch zu den Vorwürfen Stellung beziehen.

Quelle: ntv.de